Die 6-jährige Lara leidet durch eine Infantile Cerebralparese an motorischen Beeinträchtigungen vor allem während des Gehens. Eine Geschichte von einem kleinen starken Mädchen, das durch eine Intensivtherapie in ein selbstständiges Leben geht - und dabei die Hilfe von Roboter in Anspruch nimmt.
Durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt, leidet die 6-jährige Lara an Infantiler Cerebralparese. Bei Lara zeigt sich das durch Bewegungsstörungen besonders der Beine.
„Mir ist schon in den ersten drei Lebensmonaten aufgefallen, dass sich Lara nicht normal bewegt. Der Kinderarzt hat uns damals beruhigt, dass sie sich wahrscheinlich nur verzögert entwickelt. Erst später wurde der Verdacht der Cerebralparese bestätigt“, erzählt Laras Mama Romy über die Diagnose.
Das fröhliche kleine Mädchen benötigt viel Energie, um frei Stehen und gehen zu können, da ihr Gleichgewicht und ihre Koordination vermindert sind. Zudem hat sie Spastiken, die dazu führen, dass sie nicht effizient und flüssig gehen kann. Das Gehirn kann die Muskulatur für die zielgerichtete koordinierte Bewegung nicht ansteuern und es kommt zu Fehlspannungen, zu kompensatorischen Mitbewegungen der oberen Extremitäten und des Oberkörpers, und zu belastenden Gelenkstellungen.
Das führte dazu, dass Lara im Spitzfuß ging – sie konnte beim Gehen die Fersen nicht am Boden aufstellen. Dadurch wurden die Knie- und Hüftgelenke gebeugt gehalten und meistens nach innen eingedreht. So war sie zwar recht gut unterwegs, auf Dauer kann es aber zu Gelenksabnutzungen durch diese Fehlbelastungen kommen. Das würde ihr später wahrscheinlich starke Schmerzen verursachen. Auch die Oberkörperaufrichtung ist in dieser Position nur schwer möglich.
Eine OP verändert Laras Leben
Lara ist sehr fleißig und möchte besser und schneller laufen können – vor allem damit sie mit ihren Freunden:innen im Kindergarten mitspielen und mitlaufen kann. Deswegen macht Lara regelmäßig Physiotherapie, war im Herbst 2021 auf Rehabilitation und trainiert regelmäßig mit einem Trainer im Fitnessstudio. Im März 2022 wurde eine Myofasziotomie durchgeführt, bei der die Muskelfaszien, die bei Verspannungen der Muskulatur verklebt und verhärtet sind, operativ über kleine Schnitte gelöst. Durch die Operation wurde die Wadenmuskulatur lockerer, sodass sie mit den Fersen zum Boden kommt und auf dem ganzen Fuß aufsteigen kann. Sie kann die Knie- und Hüftgelenke strecken und den Oberkörper aufrichten. Nun fehlt ihr dazu noch die Kraft und die Fähigkeit die Muskulatur gezielt anzusteuern. In der Therapie spricht man davon, dass die Kräftebalance, zwischen der Muskulatur, die die Bewegung macht und der Muskulatur, die auf der Gegenseite lockerlässt, stimmen muss, damit ein gezielter Bewegungsablauf funktionieren kann.
Intensität bringt Erfolge
Nach der Operation musste Lara ihren Beinen eine 6-wöchige Heilungsphase geben. Anschließend kam sie für eine 8-tägige Intensivtherapie in unser Therapiezentrum HOME4MOTION in Graz. Sie hat je zwei Stunden am Vormittag und zwei Stunden am Nachmittag an den Geräten und im Therapieraum trainiert und geübt. Zusätzlich war sie gemeinsam mit der Physiotherapeutin viel im Freien auf allen möglichen Unebenheiten und auf den Stiegen im Außen- und Innenbereich unterwegs.
Das Hauptziel der Intensivtherapie war, dass Lara wieder längere Strecken gehen kann, da sie ihre Beine nach der Operation drei Wochen nicht belasten durfte, und daher Kraft und Ausdauer abgebaut hat. Durch die Operation der Faszien wurde auch die starke Muskelspannung herabgesetzt. Diese überhöhte Spannung hat sie aber aufgebaut, um sich gegen die Schwerkraft aufrichten und Stehen und Gehen zu können. Nun musste Lara erst wieder lernen mit der neuen muskulären Situation umzugehen.
Bei Lara ist die linke Seite mehr betroffen als die rechte. Das heißt, sie steht meistens am rechten Bein und belastet das Linke spontan nur so kurz wie möglich. Die Schrittlänge ist verkürzt, weshalb die Standbeinphase auf einem Bein nur kurzgehalten werden kann. Im linken Bein kommt es durch die fehlende Kraft des Oberschenkelmuskels zu einer Überstreckung im Knie, was auch das Knie auf Dauer zu stark belastet. Außerdem dreht sie das rechte Bein seit der Operation verstärkt nach innen ein, was sehr wahrscheinlich die fehlende Kraft des linken Beines und die verminderte Beweglichkeit im linken Fuß kompensiert.
Weitere Strecken gehen können
Das Gehen fiel Lara zu Beginn der Therapie sehr schwer, sie machte oft Pausen oder wollte von ihrer Mama getragen werden, da das Gehen für sie zu anstrengend war. Im Laufe der Intensivphase trainierte Lara regelmäßig mit dem robotikgestützten Gangphasentrainer „Omego“. Hier wurden vor allem die Muskeln für die Standkraft mit den Funktionen Beinpresse und Stepper trainiert. Während Laras Intensivtherapie konnte sie die Kraft ihrer Oberschenkelmuskeln deutlich steigern.
Lara übte auch viel mit der Balance-Plattform „Tymo“. Eingebaute Sensoren können Lageveränderungen des Körpers während Haltungs- und Gleichgewichtsübungen messen. Lara musste z.B. in Schrittstellung ihr Gewicht vom hinteren Bein nach vorne auf das Standbein verlagern. Außerdem wurde in dieser Schrittposition die Wadenmuskulatur gedehnt. Auf einem Stepper, der schräg aufgestellt wurde, konnte zusätzlich die Dehnung der Waden und die Mobilisation der Sprunggelenke in Streckung geübt werden. Die Streckung der Wadenmuskulatur ist deshalb so wichtig, damit Lara die Fersen gut am Boden aufstellen kann. Schnell fand Lara ihre Lieblingsspiele und war ehrgeizig 100% und 3 Sterne zu erreichen.
Lara musste auch lernen, die Fußhebermuskulatur zu aktivieren, um beim Aufsetzen des Fußes die Ferse zu belasten, was einen guten Abrollvorgang ermöglicht. Zusätzlich braucht sie diese Aktivität, um nicht mit den Zehen am Boden hängen zu bleiben und zu stolpern. Die Physiotherapeutin befestigte den „Pablo-Sensor“ auf den Vorfuß, ließ sie entspannt angelehnt sitzen und übte mit Lara, dass sie ihren Fuß und die Zehen hochzieht. Am Anfang der Therapie schaffte sie dies nur durch starke Kompensationen des Kniegelenks, der Hüfte und des Oberkörpers. Zum Schluss waren diese Kompensationen schon deutlich abgemildert und der Bewegungsumfang im Sprunggelenk größer.
Für das Gehen sind auch die kleinen Muskeln am Gesäß wichtig, da sie das Becken stabil halten, wenn man auf einem Bein steht, während das andere nach vorne schwingt. Lara übte in verschiedenen Positionen diese Muskulatur zu kräftigen, damit sie vor allem links besser stehen kann. Mit dem Pablo-Sensor an den Beinen konnte erreicht werden, dass sie auf einem Bein steht und mit dem anderen Bein Schwungbewegungen usw. macht. Dies war in den ersten Tagen vor allem links sehr mühsam und brauchte viel spielerisches Bestärken, dass sie immer wieder probiert auch auf dem linken Bein zu stehen. So wurde auch ihr Stofftier „Bella“ gezielt in die Übungen eingebaut. Auch das Spielen mit dem Ball machte ihr Spaß. Um ihre Stabilität und die Koordination zu steigern, übte die Physiotherapeutin mit Lara im Stehen zu werfen und zu fangen, den Ball mit den Füßen zu kicken, den Ball vom Boden aufzuheben, im Sitzen beide Füße zum Aufheben und Schießen des Balls zu nutzen und in vielen verschiedenen Ausgangpositionen zu spielen.
Jeden Tag ging Lara außerdem zwei Mal 20-30 Minuten mit unserem Gangtrainer „Perpedes“, der das menschliche Gangmuster detailgetreu nacherzeugt. Dabei wird das Gangmuster individuell an Lara angepasst und eine Teilentlastung durchgeführt. Der Gangtrainer ermöglicht viele Wiederholungen, damit Lara ein effizientes Gangbild lernen konnte. Täglich wurde die Schrittlänge, die Geschwindigkeit und die Anzahl der Schritte gesteigert. Am Anfang waren noch spastische Reaktionen der Beine zu erkennen, vor allem wenn sich die Geschwindigkeit steigerte. Zum Schluss war dies nicht mehr auffällig.
Aber nicht nur die Anzahl der Schritte haben sich verbessert, sondern auch die Strecke, die Lara selbstständig gehen konnte. Die Physiotherapeutin hat ihr, um den Spaß-Faktor zu erhöhen, einen Parkour mit Hindernissen zum Darübersteigen aufgebaut, oder versucht verschiedene Gangarten in kleinen Spaziergängen im Freien zu üben. Die Physiotherapeutin und Lara bewegten sich wie Elefanten, Schildkröten, Störche, Frösche, Mäuse usw.
Das allgemeine Gleichgewicht und die Oberkörperstabilität trainierte Lara sowohl im freien Sitzen auf verschiedenen Unterlagen bis hin zum Pezziball als auch im Stehen auf der MFT-Platte und dem Airexpad. Im Sitzen auf dem Pezziball wurde sie auch zunehmend sicherer, sodass sie am Schluss nur noch am Ball leicht gehalten wurde.
Ein Sportfest für Lara
Um objektiv bewerten zu können, ob unsere Patienten:innen Fortschritte machen, führen wir jedes Mal eine genaue Anfangs- und Enduntersuchung durch. Um Lara zu motivieren und die Assessments kindgerechter durchzuführen, haben wir mit Lara am Ende der Therapie ein kleines Sportfest mit eigenem Stempelpass und Urkunde durchgeführt. Lara konnte in unserem Therapiezentrum die jeweiligen Stationen selbst suchen und durchführen. Top motiviert versuchte Lara ihren Stempelpass so schnell wie möglich vollzubekommen und die Stationen so gut wie möglich zu schaffen. Und ihre Erfolge können sich sehen lassen:
Kraftmessung:
Die Maximalkraftmessung der Beine wird in sitzender Position auf dem Gangphasentrainer Omego durchgeführt. Jedes Bein wird separat auf seine maximale Kraft getestet.
Die Zahlen sind eindeutig: Lara hat durch die Intensivtherapie ihre Beinkraft links beinahe verdoppelt und auch rechts verbessert.
Start Therapie 16.5. | Links 12 kg Rechts 15 kg |
Ende Therapie 24.5. | Links 22,2 kg Rechts 22,8 kg |
Diesen Kraftzuwachs konnte man auch auf unserem Gangtrainer Perpedes sehen. Lara konnte während der Intensivtherapie täglich die Schrittlänge, die Geschwindigkeit und die Anzahl der Schritte steigern.
Standsicherheitstest:
Der Standsicherheitstest wird mit Tymo durchgeführt. Dazu musste sie ihre Standsicherheit mit offenen und geschlossenen Augen und auf einem Bein rechts und links zeigen. Auch bei diesem Test sind deutliche Verbesserungen bemerkbar:
| Therapiebeginn | Therapieende |
Offene Augen | 4 Sekunden stabil stehen | ohne abstützen 20 Sekunden |
Geschlossene Augen | mit abstützen 4 Sekunden | ohne abstützen 20 Sekunden |
Ein Bein rechts Stehen | mit abstützen 3 Sekunden | ohne abstützen 14 Sekunden |
Ein Bein links Stehen | mit abstützen 1-2 Sekunden | mit abstützen 20 Sekunden |
Timed „Up and Go“-Test
Der Timed „Up and Go“-Test wird zur Beurteilung der Mobilität der Patienten:innen genutzt. Die Patienten:innen sitzen dabei auf einem Stuhl und werden aufgefordert aufzustehen, drei Meter zu gehen, umzukehren und sich wieder zu setzen. Dabei wird die Zeit gemessen.
Zu Therapiebeginn benötigte Lara für die benötigten 3 Meter 17 Sekunden und zu Therapieende nur mehr 11 Sekunden. Sie konnte sich also um 6 Sekunden verbessern.
6-Minuten-Gehtest
Beim 6-Minuten-Gehtest geht es darum, in einer Zeit von 6 Minuten in Begleitung und überwacht durch eine/n Physiotherapeut:in soweit wie möglich zu gehen.
Laras Gehstrecke hat sich um das Doppelte gesteigert. Zu Beginn der Therapie schaffte sie mit vielen Pausen 55 Meter und am Ende der Therapie mit einer kurzen Trinkpause 126 Meter. Dabei ist zusätzlich zu erwähnen, dass sie am Anfang an einer Hand gegangen ist, und am Schluss wollte sie alles frei gehen.
Der Selbstständigkeit ein Stückchen näher
Die Intensivtherapie war für Lara und ihre Familie nicht nur objektiv ein Erfolg, sondern auch subjektiv. Schon nach dem zweiten Therapietag berichtete Laras Mama, dass sie in der Dusche barfuß freistehen konnte, was sie vorher noch nicht geschafft hat.
Im Laufe der Woche fiel den Eltern auch auf, dass Lara viel öfter allein geht und nicht mehr so viel getragen werden will. Laras Mama hat uns auch schon erzählt, dass sie zu Hause den Weg zum Kindergarten mittlerweile selbst gehen kann.
Sie wird weiterhin in ihrem Wohnort regelmäßig zur Physiotherapie gehen, um ihr Gangbild immer weiter zu verbessern und ihr das Gehen immer leichter fällt. Unsere Physiotherapeutin steht im Austausch mit dem behandelnden Physiotherapeuten, um Lara weiterhin optimal fördern zu können, dass sie ihre Ziele im Leben erreichen kann.
Ab diesem Herbst wird sie die Volksschule besuchen und freut sich schon auf das Lernen in der Schule mit ihren Freunden:innen aus dem Kindergarten.
Lara, es hat uns allen viel Spaß gemacht mit dir!
Großzügige Spende für Intensivtherapie
Laras Intensivtherapie im Mai 2022 wurde dank einer großzügigen Spende des Vereins freiraum-europa ermöglicht. freiraum-europa unterstützt vorwiegend Kinder und Jugendliche, die vom Schicksal schwer getroffen wurden. Die positiven Entwicklungen seit der Gründung sind den vielen haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von freiraum-europa zu verdanken. freiraum-europa unterstützt im In- und Ausland behinderte Menschen in Notlagen mit Sach- und Geldspenden sowie Beratungs- und Bildungsleistungen. "Es ist uns wichtig, insbesondere dort zu helfen, wo Hilfe am nötigsten ist“.
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