Eines von 500 Kindern in Österreich lebt mit einer infantilen Zerebralparese (ICP). Am morgigen Welttag der Zerebralparese möchten wir auf diese Bewegungsstörung und die alltäglichen Herausforderungen aufmerksam machen und gleichzeitig auch Mut machen. Der kleine Elias ist ein tolles Beispiel dafür, was trotz ICP und mit regelmäßiger Physiotherapie möglich ist.
Der 7-jährige Elias geht seit diesem Schuljahr in die erste Klasse Volksschule und ist ein aufgeschlossener und aktiver Junge. Er hat sich schon sehr auf die Schule gefreut, besonders darauf mit seinen Freund:innen zu lernen und laufen zu können, aber das war bisher nicht so einfach. Denn Elias hat aufgrund einer Frühgeburt und Sauerstoffmangel des noch unreifen Gehirns eine Cerebralparese erlitten. Das führte bei Elias zu einer beinbetonten spastischen Parese. Er kann zwar frei gehen und ist bei allen Lagewechseln vom Boden zum Stand selbstständig, aber aufgrund der spastischen Parese in den Beinen hat Elias einen Spitzfußgang, der mit einer verstärkten Knie- und Hüftbeugung einher geht. Zusätzlich knickt beim Gehen ohne Schuhe sein Fuß nach innen. Um die Fußstabilität und Abrollphase beim Gehen zu unterstützen, ist er mit Spiralorthesen versorgt. Diese Orthesen reichen bis unterhalb des Kniegelenks und unterstützen somit die Kniestreckung in der Standbeinphase. Außerdem hat Elias Turnschuhe mit individuell angepassten sensomotorischen Einlagen, die über Druckpunkte auf der Fußsohle die kurze Fußmuskulatur aktivieren. Somit soll der Aufbau des Fußgewölbes unterstützt und die Problematik des Knickfußes positiv beeinflusst werden.
Seit Jänner 2021 begleiten unsere Physiotherapeut:innen Elias schon auf dem Weg, seine motorischen Fähigkeiten auszubauen und zu verbessern. Aufgrund der Spastik kam es jedoch zu Veränderungen der Muskulatur, weshalb im Frühsommer 2022 eine Myfasziotomie der verkürzten Muskulatur durchgeführt wurde. Diese minimalinvasive Operation geht mit einer 6-wöchigen Heilungsphase einher in der wenig Belastung stattfinden soll. Nach dieser Zeit der Regeneration war Elias 4 Wochen auf Rehabilitation. Im Anschluss nahm er Ende August 2022 an einer einwöchigen Intensivtherapie in unserer Therapieeinrichtung in Graz teil. Dabei hat Elias täglich 4 Stunden mit unseren Physiotherapeut:innen Martina und Helena fleißig, voller Motivation und Freude trainiert.
Ziele der Intensivtherapie waren die Verbesserung der Standbeinphasen beidseitig und die Steigerung der Gehstrecke und -geschwindigkeit durch flüssigere und besser kontrollierte Bewegungen in der Schwung- und Standbeinphase.
Übung macht den Meister
Zum Erreichen der Therapieziele übte Elias mit viel Ausdauer an all unseren computer- und robotikgestützten Geräten und probierte gerne neue Sachen aus. Um die Ferse in der frühen Standbeinphase am Boden aufsetzen zu können, wird ein koordiniertes Zusammenspiel der Vorfußheber und der Wadenmuskulatur benötigt. Während der Vorfußheber aktiviert wird, muss die Wadenmuskulatur entspannen können. Aus diesem Grund lag ein wichtiger Fokus auf der Verbesserung der Kraft und Ausdauer der Vorfußheber. Hierfür übte Elias im Sitzen und Stehen mit unseren Pablo-Sensoren, wobei er die Zehen und den Vorfuß nach oben ziehen sollte. Zur Reduktion der Spannung der Wadenmuskulatur und somit zur Verminderung der Spitzfußstellung, übten Helena und Martina mit Elias viel in Positionen am Boden und auf der schiefen Ebene.
Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Einbeinstand. Die Fähigkeit auf einem Bein stehen zu können hat erheblichen Einfluss auf das Gangbild und führt beispielweise zu einer kontrollierten Vorwärtsbewegung des Schwungbeines. Beim Stehen am linken Bein setzt er sehr stark das rechte Bein und den Oberkörper ein, um das Gleichgewicht zu halten. Auch beim Stehen am rechten Bein benötigt er die Kompensation mit dem linken Bein und dem Oberkörper. Auf beiden Beinen kann Elias nur sehr kurz stehen. Das hat auch Auswirkungen auf seinen Gang, denn durch die kurze Stehfähigkeit kann er auch nur kleinere Schritte machen und er bringt das Schwungbein schnell in einer Art Schutzschritt nach vorne, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Zudem ist für die Abrollphase des Fußes in den einzelnen Standphasen der Initiale Fersenkontakt wichtig. Wenn dieser Fersenkontakt in der ersten Standbeinphase nicht funktioniert, dann laufen die anderen Standphasen nicht richtig ab. Dies führt zu einem undynamischen und wenig ergonomischen Gangbild. Das beschriebene Auftreten auf der Ferse kann Elias nur schwer ansteuern und setzt anstatt dessen den ganzen Fuß am Boden auf.
Um den initialen Fersenkontakt zu ermöglichen, wird die Streckung im Knie benötigt. Dies übte Elias mit der Beinpresse am robotikgestützten Gangphasentrainer Omego. Außerdem liebte er das Fahrradfahren auf diesem Gerät, wobei im Laufe der Therapiewoche der Widerstand kontinuierlich gesteigert werden konnte.
Um die auf den unterschiedlichen Geräten einzeln beübten Elemente des Gehens auf das dynamische Gehen zu übertragen, ist Elias täglich 2-mal auf dem Gangtrainer PerPedes gegangen, der das menschliche Gangmuster detailgetreu nacherzeugt. Dabei wird das Gangmuster individuell an Elias angepasst und eine Teilentlastung durchgeführt. Der Gangtrainer ermöglicht viele Wiederholungen, damit Elias ein effizientes Gangbild lernen konnte. Über die Intensivwoche konnten Martina und Helena beobachten, wie Elias immer mehr Gewicht übernehmen und das Knie in der Standbeinphase besser strecken konnte.
Die Verbesserung des Gleichgewichts und der Oberkörperaufrichtung sollte durch Übungen auf allen möglichen Kipp- und Wackelelementen im Stehen und Sitzen erreicht werden. Zusätzlich bauten Martina und Helena für Elias in den Therapieräumen Parcours auf, wo er immer wieder über Gegenstände steigen musste, ohne die Möglichkeit zu haben sich dabei festzuhalten. Außerdem gaben Martina und Helena Elias Aufgaben im Stehen mit beiden Händen aus der Mitte heraus zu greifen. Während die Aufmerksamkeit auf der Armbewegung lag, sollte Elias seine Beine und den Oberkörper automatisch kontrollieren und stabil halten.
Da für Elias ein kontinuierliches Training essenziell ist, zeigten Martina und Helena seinen Eltern auch Übungen für zu Hause. Zur Förderung der Fußhebung und Kniestreckung rollte Elias Hanteln mit der Ferse nach vorne weg. Eine besondere Übung beinhaltet Strohhalme. Diese wurden unter seine Füße platziert und Elias durfte sich die Strohhalme durch Druck auf der Fußaußenkante nicht wegziehen lassen. Diese Übung fördert die Aktivität der kurzen Fußmuskulatur und soll somit dem Knickfuß entgegenwirken. Elias machte diese Übung sehr Spaß, da er mit kleinen Challenges mit Martina besonders motiviert war.
Durch den Wechsel der Übungen an den Geräten und aus der konventionellen Physiotherapie, blieb die Therapie für Elias immer interessant, abwechslungsreich und Elias hatte großen Spaß an all den verschiedenen Therapie-Ideen von Martina und Helena.
Ein Sportfest für Elias
Um objektiv bewerten zu können, ob unsere Patient:innen Fortschritte machen, führen wir jedes Mal eine genaue Anfangs- und Enduntersuchung durch. Um Elias zu motivieren und die Assessments kindgerecht durchzuführen, haben wir mit Elias am Ende der Therapie unser traditionelles Sportfest mit eigenem Stempelpass und Urkunde veranstaltet.
Das Stehen auf einem Bein ist für den Gang essenziell. Aus diesem Grund wurde die Dauer von Elias Einbeinstand zu Therapiebeginn und Therapieende gemessen. Elias konnte zu Therapiebeginn mit den Einlagen und mit den Orthesen auf dem linken Bein 3 Sekunden und barfuß 2 Sekunden stehen, wobei er Oberkörper und das rechte Bein zum Halten des Gleichgewichts benötigt. Auf dem rechten Bein schaffte er mit Schuhen, Orthesen und barfuß jeweils 1-2 Sekunden, auch hier mit Kompensation mit dem linken Bein und dem Oberkörper. Am Ende der Intensivtherapie war der Einbeinstand rechts und links schon viel kontrollierter möglich. Er war nach einer Woche intensiver Therapie in der Lage das Knie des anderen Beines zu heben und zeigte dabei deutlich weniger Kompensationsbewegungen des Oberkörpers und des Gegenbeines.
Ein weiterer Test war der 10-Meter-Gehtest. Dabei geht es darum, die Strecke von 10 Metern so schnell wie möglich zu gehen. Elias benötigte für die 10 Meter Gehstrecke mit Orthesen 16 Sekunden und mit den Einlagenschuhen 17 Sekunden. Hilfsmittel benötigte er dabei keine. Am Ende der Intensivtherapie konnte er sich mit Orthesen um 5 Sekunden und mit Einlageschuhen um 5 Sekunden verbessern.
| Therapiestart | Therapieende |
10-Meter-Gehtest | mit Orthesen: 16 Sekunden mit Einlagenschuhe: 17 Sekunden | mit Orthesen: 11 Sekunden mit Einlagenschuhe: 12,4 Sekunden |
Die Kraft der Oberschenkelmuskulatur haben wir am Omego mit dem Krafttest Sit to Stand gemacht. Die Steigerungen bei der Kraftmessung sind dabei links beachtlich: er konnte seine Kraft im Vergleich zum Therapiestart um 13,5 kg steigern. Auch rechts konnte er seine Kraft um 6,5 kg steigern. Wir, Elias und seine Eltern sind begeistert über dieses Ergebnis.
| Therapiestart | Therapieende |
Gesamtbeinkraft (Sit-to-stand Kraft) | rechts: 16,6 kg links: 20,6 kg | rechts: 23,1 kg links: 34,1 kg |
Dem Laufen ein Stückchen näher
Die Intensivtherapie war für Elias und seine Familie nicht nur objektiv ein Erfolg, sondern auch subjektiv. Elias Papa hat berichtet, dass Elias gegen Ende der Therapiewoche erstmals probiert hat zu Hause zu laufen. Die Eltern sind zuversichtlich, dass er seine Fähigkeiten weiterhin verbessern wird und er mit seinen Freund:innen durch den Schulhof laufen kann. Denn wenn der 7-jährige etwas erreichen möchte, übt er so lange, bis er es schafft.
Elias, wir hatten sehr viel Spaß mit dir! Wir wünschen dir alles Gute und viel Freude in der Schule und freuen uns, dich bald wieder bei uns zu sehen!
Großzügige Spende
Dank der großzügigen Spende des Vereins „Stiftung Kindertraum“ wurde Elias die 5-tägige Intensivtherapie ermöglicht. Stiftung Kindertraum erfüllt Herzenswünsche von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen oder schweren Krankheiten in Österreich.
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